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Ryschka, J., Solga, M. & Wolf, A. (2011). Führungskräfteentwicklung im Rahmen eines Nearshoring-Projektes bei Clearstream. In J. Ryschka, M. Solga & A. Mattenklott (Hrsg.), Praxishandbuch Personalentwicklung. Instrumente, Konzepte, Beispiele (3. Aufl.; S. 489-504). Wiesbaden: Gabler.
Projektverantwortliche: Prof. Dr. Jurij Ryschka und Prof. Dr. Marc Solga
Projektdauer: 8 Monate
Clearstream International S.A. ist einer der größten weltweit tätigen Anbieter von Wertpapierdiensten. Um die Position unter den Wertpapierdienstleistern weiterhin zu sichern, Anteile im osteuropäischen Markt zu erhöhen und Kosten zu senken, sollten 150 Stellen von Frankfurt und Luxemburg nach Prag verlagert werden (sog. Nearshoring). Um eine möglichst reibungslose Umsetzung zu gewährleisten, sollte der Prozess durch eine Changemanagementberatung begleitet werden. Ziel dieser Beratungs- und Trainingsunterstützung war es,
Veränderungsprozesse sind häufig weniger erfolgreich als geplant, da das Veränderungsmanagement zu wenig auf die betroffenen Mitarbeiter eingeht und diese meist unvorbereitet mit betrieblichen Veränderungen konfrontiert werden. Um erfolgreich zu sein, müssen Führungskräfte ihre Mitarbeiter dabei unterstützen, die veränderte Situation zu akzeptieren, das eigene Bedrohungserleben zu bewältigen und neue Perspektiven für die eigene Person in der veränderten Organisation zu entwickeln.
Um der Herausforderung von Veränderungsprozessen zu begegnen, liefert das Konzept des psychologischen Vertrags wichtige Annahmen und Ansatzpunkte. Der psychologische Vertrag ist kein Vertrag im rechtlichen Sinne, sondern kennzeichnet vielmehr die wechselseitigen Versprechen bzw. Verpflichtungen zwischen Mitarbeiter und der Firma. Es geht um die Frage, welche Erwartungen die Mitarbeiter an die Organisation haben und mit welchen Angeboten das Unternehmen diese befriedigt. Analog dazu hat die Organisation ebenso Erwartungen an die Mitarbeiter, denen diese mit Angeboten begegnen müssen. In Veränderungsprozessen werden die Erwartungen vom Mitarbeiter häufig enttäuscht, indem Angebote von Seiten der Organisation einseitig gestrichen werden. Um diesem Vertragsbruch und dem daraus resultierenden, für den Veränderungsprozess kontraproduktiven Verhalten der Mitarbeiter entgegenzuwirken, ist es notwendig, neue psychologische Verträge zu gestalten: Erwartungen und Angebote werden in Mitarbeitergesprächen explizit gemacht und partnerschaftlich ausgehandelt.
Dabei spielt eine beziehungsorientierte Führung und somit Leadershipverhalten, das über reines Managementverhalten und eine damit verbundene reine Sach- und Aufgabenorientierung hinausgeht, eine entscheidende Rolle. Leadershipverhalten, das in der Führungsforschung als transformationale Führung bezeichnet wird, beinhaltet, Mitarbeitern Wertschätzung entgegenzubringen, sie bei der Bewältigung von Problemen und ihrer Karriereentwicklung zu unterstützen, sie zu inspirieren und intellektuell herauszufordern und dem Arbeitsleben durch Visionen Sinn und Bedeutung zu geben.
Das Projektteam, bestehend aus dem Chief Operation Officer (COO), einer Mitarbeiterin aus dem Human Resource Management und Beratern der OE Ryschka, entwickelten ein Konzept, das die in der Abbildung dargestellten drei Phasen umfasst. Diese Bausteine werden nun genauer beschrieben.
Um sicherzustellen, dass das Leadershipverhalten dauerhaft angewendet wird, wurden verschiedene Maßnahmen angestoßen:
Prozessbegleitende Evaluationsworkshops mit den Bereichsleitern und dem COO während der ersten beiden Phasen führten zu Anpassungen in den Trainingsbausteinen. In der Trainingsevaluation der 3. Phase zeigte sich, dass die teilnehmenden Führungskräfte insgesamt hochzufrieden mit der Veranstaltung waren.
Im Zeitraum von zwei Jahren wurden 150 Stellen in fünf Wellen verlagert. Die Übertragung der Arbeitsprozesse nach Prag hat reibungslos funktioniert und die Prozesse laufen stabil. Die Zusammenarbeit über die Standorte hinweg funktioniert gut und wird – nach anfänglicher Skepsis – allseits als eine Bereicherung angesehen.